- Kulinarik
Blad'l bei Lisbeth
Früher standen die Pinzgauer Blad'l regelmäßig auf dem Speiseplan der Bauern in der Region. Sie wurden gebacken, gestapelt und zum Beispiel den Arbeitern bei der Ernte aufs Feld hinausgebracht. Blad'l sind echte Hausmannskost und etwas ganz Besonderes, auch im Pinzgau. Nicht mehr viele trauen sich die Zubereitung dieser Teiglinge zu, aber bei Lisbeth Breitfuß auf der Rammernalm in Vorderglemm kann man nach wie vor Blad'l essen kommen. Sie hat das Rezept von ihrer Schwiegermutter bekommen und verzaubert mit dem Gericht regelmäßig Einheimische und Urlauber.
Am Ende des Löhnersbachweges wartet eine kulinarische Überraschung
Stille umgibt mich auf dem Schattberg. Die Sonne steht tief am Himmel und die Bäume auf dem Berg werfen lange Schatten über die Rammernalm. Die Alm wird seit über 30 Jahren von Lisbeth Breitfuß und ihrem Mann bewirtschaftet, manchmal holt sie sich für die Arbeit in der Küche Hilfe bei Freunden und Nachbarn. Die Alm ist im Winter vom Tal aus nur zu Fuß oder mit Allrad bzw. Schneeketten erreichbar, ein Skipfad führt "von oben", also von der Jausernabfahrt zu ihr hinunter.
Lisbeth Breitfuß heizt den alten Kachelofen an, der in der kleinen Gaststube steht. Hier haben nicht mehr als 30 Leute Platz. Die Sonnenterrasse wird hauptsächlich im Sommer genutzt. Lisbeth läuft geschäftig durch den Flur. Im Vorbeigehen bügelt sie ihre weiße Schürze. "Ich mag das nicht, wenn meine Kleidung voller Mehl ist, dann ziehe ich lieber eine Schürze über", erklärt sie. Sie spricht einen für mein Empfinden starken Pinzgauer Dialekt, aber ich merke, dass sie sich Mühe gibt, dass ich sie verstehen kann.
In der Küche hat Lisbeth schon Töpfe und Pfannen auf den alten Herd gestellt, die Kartoffeln für den Kartoffelsalat, den es zu Blad'l gibt, garen bereits. Außerdem köchelt eine Rindssuppe für den nächsten Tag vor sich hin und verbreitet einen zarten würzigen Duft. Auf Rammern werden Blad'l in fünf Gängen serviert, die alle aus demselben Teig, aber jeweils mit anderen Beilagen verfeinert werden.
Das Menü:
1. Blad’l mit dem "Besten Sauerkraut"
2. Blad’l mit Kartoffelsalat nach Schwiegermutters Rezept
3. herzhaft gefüllte Blad’l, dazu gibt es noch einmal Sauerkraut
4. Süßer Blad’l mit Preiselbeermarmelade und Staubzucker
5. Süßer Blad’l mit Heidelbeermarmelade und Staubzucker
Dann beginnt Lisbeth Breitfuß, den Blad'l-Teig zuzubereiten. Sie kennt das Rezept in- und auswendig und gibt routiniert Roggen- und Weizenmehl in eine große Emailleschüssel. Dazu kommt etwas warme Milch, zerlassene Butter und Salz. Das Ganze wird gut verknetet, ähnlich wie ein Brotteig. "Der Teig sieht auch ein bisschen aus wie Brotteig", findet Lisbeth, "aber er fühlt sich an wie Nudelteig". Dieser Teig bildet später die Grundlage für alle Varianten der Blad'l. Er muss solange geknetet werden, bis er weich ist. Lisbeth Breitfuß nimmt noch einmal eine Handvoll Mehl und streut sie auf die Arbeitsplatte. Darauf muss der Teig noch einmal fest geknetet und zu einer Rolle geformt werden. Lisbeth erklärt: "Ich mach den Teig lieber frisch, aber es gibt Leute, die bereiten den Teig schon morgens vor, wenn sie erst abends Blad'l machen." Ihr wird es sonst zu trocken. Von der Rolle werden zuerst die etwas dickeren Scheiben für die gefüllten Blad'l abgeschnitten. Die Scheiben für die leeren Blad'l sind etwas dünner und werden als nächstes geschnitten. Zu den leeren Blad'l soll es ja später die Beilagen geben, wie es im Menü steht.
Inzwischen ist es draußen dunkel. Wir sind in der Küche und das Deckenlicht wirft Schatten in den Schnee vor dem Fenster – richtig idyllisch. Lisbeth Breitfuß schiebt noch ein paar kleine Holzscheite in die Luke vom Holzofen. Sie backt ihre Blad'l immer noch auf dem alten Holzofen, den elektrischen Herd daneben kann sie da nicht verwenden. "Das Feuer muss richtig brennen, denn nur dann wird das Öl für die Blad'l auch heiß genug", erklärt Lisbeth.
Das blonde Energiebündel hat auch schon angefangen, das Sauerkraut vorzubereiten. Vorgegart wurde es bereits vor ein paar Tagen, jetzt muss es nur noch mit ein paar Zutaten verfeinert und aufgekocht werden.
Auch die Kartoffeln sind gar. Lisbeth gießt das Wasser ab und schält die Pelle von den Kartoffeln, die hier hauptsächlich Erdäpfel genannt werden. Dabei erinnert sich die Wirtin: "Früher gab es Blad'l oft bei den Bauern. Zum Beispiel bei der Heuernte. Die Frauen brachten den Männern gebackene Blad’l." Sie wurden dann mit Marmelade oder Butter in Kaffee gestippt und dazu gegessen.
Zurück zum Holzofen. Lisbeths Pinzgauer Blad'l müssen sehr heiß gebacken werden. Sie hat für den Holzofen speziell eine gusseiserne Pfanne anfertigen lassen. Mit dem Schürhaken öffnet Lisbeth ein Loch in der Kochfläche des Ofens, zieht die Herdplatte beiseite und schiebt die schwere Pfanne für die Blad'l in die Öffnung. Während das Öl in der Pfanne heiß wird, eilt Lisbeth zur Eingangstür der Rammernalm. Außer mir sind nämlich noch vier junge Männer zum Blad'l essen eingeladen. "Nur für eine Person lohnt sich die Arbeit nicht", findet Lisbeth, deswegen hat sie die Urlauber, die beim Nachbarn untergekommen sind, kurzerhand dazu gebeten. Die vier stammen "aus der Region Hamburg", wie sie sagen, und verbringen vier Tage im Gästehaus unterhalb der Rammernalm. Philipp, Heiner, Gerrit und der Quasi-Regisseur, dessen Namen ich vergessen habe, haben schon vor ein paar Jahren bei Lisbeth einmal Blad'l gegessen und waren begeistert. Deswegen freuen sie sich nach einem intensiven Kater- und Skitag umso mehr über das leckere Essen.
In der Gaststube ist es gemütlich. Das findet Lisbeth Breitfuß auch wichtig. An den Wänden des kleinen, holzvertäfelten Raums hängt ein gesticktes Stilleben, die wenigen Tische sind hübsch eingedeckt. Mir gießt die Wirtin eine Johannisbeersaftschorle ein, für die Männer gibt es Bier. Lisbeth muss gleich wieder in die Küche, die Blad'l macht sie dort allein fertig. "Wenn das Öl einmal heiß ist, gehts mit den Blad'l schnell", verkündet die blonde Wirtin. Deswegen müssen Getränke und Beilagen schon vorher fertig sein.
Auf der Rammernalm gibt es Gastbetrieb im Übrigen schon seit den 1960ern. Damals entschieden sich die Schwiegereltern von Lisbeth Breitfuß, eine kleine Gaststube einzurichten und Wanderern oder Wintersportlern eine Einkehrmöglichkeit zu bieten. Mit dem Bau des ersten Schattbergliftes wurde die Gegend um die Rammernalm außerdem besser zugänglich. Nach ihrer Hochzeit Mitte der 80er Jahre hat Lisbeth Breitfuß den Gastbetrieb von ihrer Schwiegermutter mit der Zeit übernommen.
Mit Schwung geht die Tür der Gaststube wieder auf. Lisbeth serviert die ersten Blad'l. Gang Eins: Frisch gebackene Blad’l, sie sehen ein bisschen aus wie Croissants. Sobald sie kalt werden, fallen die Blad'l direkt in sich zusammen. Die Beilage zum ersten Blad'l ist Sauerkraut. Vor dem Essen eine kurze Einweisung von Lisbeth: Das Kraut soll entweder direkt auf die Blad'l gegeben und zusammen eingerollt werden oder man kann das Blad'l mit den Fingern essen und Sauerkraut mit der Gabel aufgabeln und sich dazu in den Mund schieben. Unfassbar lecker. Eine tolle Kombination: in Fett gebackener Teig, luftig und kross, dazu süßsaures Kraut.
Kurz darauf folgt auch schon der zweite Gang: Blad’l mit Erdäpfelsalat. Lisbeth hat Essigessenz in die Soße des Erdäpfelsalats gegeben, das macht den Salat in Summe recht sauer. Auch hier passt der Geschmack perfekt zu den Blad'l. Deren Teig erinnert mich im Übrigen an die knusprige Hülle von Frühlingsrollen.
Gang drei ist der Exot unter den Blad'ln. Denn: Lisbeth serviert die gefüllten Blad'l, für die sie vorhin die Füllung aus Kartoffelstampf, Speck und Kräutern zubereitet hat. Auch dazu gibt es Sauerkraut. Lisbeth Breitfuß mag die gefüllten Blad'l besonders gern, gibt sie zu. Denn der Geschmack erinnere sie an Tiroler Gröstl – Bratkartoffeln mit Speck, Kräutern und Spiegelei.
Jetzt gehts an den Nachtisch: Gang vier und fünf. Während die vier Männer noch einen weiteren herzhaften Blad’l bestellen (das geht, weil Lisbeth immer etwas mehr Blad'l vorbereitet, als sie tatsächlich benötigt), wechsle ich bereits zu den zwei süßen Zubereitungen: Blad’l mit Staubzucker und Heidelbeermarmelade, dazu ein weiteres Blad'l mit Preiselbeermarmelade.
Beide sind wieder unheimlich lecker, aber danach bin ich pappsatt. Aber auch die Männer sind begeistert: "Total lecker", meint Philipp. Doch die Wirtin weist darauf hin, dass die Blad’l noch warm gegessen werden müssen. "Später schmecken’s nicht mehr so gut".
Ich bedanke mich und sage ein herzliches "Vergelt's Gott" für diesen tollen Abend auf der kleinen, gut versteckten Rammernalm. Mit Sicherheit war ich nicht das letzte Mal bei Lisbeth Breitfuß.
TIPP: Wer bei Lisbeth Blad’l essen will, sollte einen Tag vorher anrufen und einen Tisch bestellen.